Drittes Gespräch
ERNST Du bist mir den ganzen Tag im Gedränge der Gesellschaft ausgewichen. Aber ich verfolge dich in dein Schlafzimmer.
FALK Hast du mir so etwas Wichtiges zu sagen? Der bloßen Unterhaltung bin ich auf heute müde.
ERNST Du spottest meiner Neugierde.
FALK Deiner Neugierde?
ERNST Die du diesen Morgen so meisterhaft zu erregen wußtest.
FALK Wovon sprachen wir diesen Morgen?
ERNST Von den Freimaurern.
FALK Nun? – Ich habe dir im Rausche des Pyrmonter doch nicht das Geheimnis verraten?
ERNST Das man, wie du sagst, gar nicht verraten kann.
FALK Nun freilich; das beruhigt mich wieder.
ERNST Aber du hast mir doch über die Freimaurer etwas gesagt, das mir unerwartet war; das mir auffiel; das mich denken machte.
FALK Und was war das?
ERNST O quäle mich nicht! – Du erinnerst dich dessen gewiß.
FALK Ja, es fällt mir nach und nach wieder ein. – Und das war es, was dich den ganzen langen Tag unter deinen Freunden und Freundinnen so abwesend machte?
ERNST Das war es! – Und ich kann nicht einschlafen, wenn du mir wenigstens nicht noch eine Frage beantwortest.
FALK Nach dem die Frage sein wird.
ERNST Woher kannst du mir aber beweisen, wenigstens nur wahrscheinlich machen, daß die Freimaurer wirklich jene große und würdige Absichten haben?
FALK Habe ich dir von ihren Absichten gesprochen? Ich wüßte nicht. – Sondern da du dir gar keinen Begriff von den wahren Taten der Freimaurer machen konntest, habe ich dich bloß auf einen Punkt aufmerksam machen wollen, wo noch so vieles geschehen kann, wovon sich unsere staatsklugen Köpfe gar nichts träumen lassen. – Vielleicht, daß die Freimaurer da herum arbeiten. – Vielleicht! da herum! – Nur um dir dein Vorurteil zu benehmen, daß alle baubedürftige Plätze schon ausgefunden und besetzt, alle nötigen Arbeiten schon unter die erforderlichen Hände verteilet wären.
ERNST Wende dich itzt, wie du willst. – Genug, ich denke mir nun aus deinen Reden die Freimaurer als Leute, die es freiwillig über sich genommen haben, den unvermeidlichen Übeln des Staats entgegenzuarbeiten.
FALK Dieser Begriff kann den Freimaurern wenigstens keine Schande machen. – Bleib dabei! – Nur fasse ihn recht. Menge nichts hinein, was nicht hinein gehöret. – Den unvermeidlichen Übeln des Staats! – Nicht dieses und jenes Staats. Nicht den unvermeidlichen Übeln, welche, eine gewisse Staatsverfassung einmal angenommen, aus dieser angenommenen Staatsverfassung nun notwendig folgen. Mit diesen gibt sich der Freimaurer niemals ab; wenigstens nicht als Freimaurer. Die Linderung und Heilung dieser überläßt er dem Bürger, der sich nach seiner Einsicht, nach seinem Mute, auf seine Gefahr damit befassen mag. Übel ganz anderer Art, ganz höherer Art, sind der Gegenstand seiner Wirksamkeit.
ERNST Ich habe das sehr wohl begriffen. – Nicht Übel, welche den mißvergnügten Bürger machen, sondern Übel, ohne welche auch der glücklichste Bürger nicht sein kann.
FALK Recht! Diesen entgegen – wie sagtest du? – entgegenzuarbeiten?
ERNST Ja!
FALK Das Wort sagt ein wenig viel. – Entgegenarbeiten! – Um sie völlig zu heben? – Das kann nicht sein. Denn man würde den Staat selbst mit ihnen zugleich vernichten. – Sie müssen nicht einmal denen mit eins merklich gemacht werden, die noch gar keine Empfindung davon haben. Höchstens diese Empfindung in dem Menschen von weiten veranlassen, ihr Aufkeimen begünstigen, ihre Pflanzen versetzen, bejäten, beblatten – kann hier entgegenarbeiten heißen. – Begreifst du nun, warum ich sagte, ob die Freimaurer schon immer tätig wären, daß Jahrhunderte dennoch vergehen könnten, ohne daß sich sagen lasse: das haben sie getan.
ERNST Und verstehen auch nun den zweiten Zug des Rätsels. – Gute Taten, welche gute Taten entbehrlich machen sollen.
FALK Wohl! – Nun geh und studiere jene Übel, und lerne sie alle kennen, und wäge alle ihre Einflüsse gegeneinander ab, und sei versichert, daß dir dieses Studium Dinge aufschließen wird, die in Tagen der Schwermut die niederschlagendsten, unauflöslichsten Einwürfe wider Vorsehung und Tugend zu sein scheinen. Dieser Aufschluß, diese Erleuchtung, wird dich ruhig und glücklich machen; auch ohne Freimaurer zu heißen.
ERNST Du legest auf dieses heißen so viel Nachdruck.
FALK Weil man etwas sein kann, ohne es zu heißen.
ERNST Gut das! ich versteh. – Aber auf meine Frage wieder zu kommen, die ich nur ein wenig anders einkleiden muß. Da ich sie doch nun kenne, die Übel, gegen welche die Freimaurerei angehet – –
FALK Du kennest sie?
ERNST Hast du mir sie nicht selbst genannt?
FALK Ich habe dir einige zur Probe namhaft gemacht. Nur einige von denen, die auch dem kurzsichtigsten Auge einleuchten: nur einige von den unstreitigsten, weit umfassendsten. – Aber wie viele sind nicht noch übrig, die, ob sie schon nicht so einleuchten, nicht so unstreitig sind, nicht so viel umfassen, dennoch nicht weniger gewiß, nicht weniger notwendig sind!
ERNST So laß mich meine Frage denn bloß auf diejenigen Stücke einschränken, die du mir selbst namhaft gemacht hat. – Wie beweisest du mir auch nur von diesen Stücken, daß die Freimaurer wirklich ihr Absehen darauf haben? – Du schweigst? – Du sinnest nach?
FALK Wahrlich nicht dem, was ich auf diese Frage zu antworten hätte! – Aber ich weiß nicht, was ich mir für Ursachen denken soll, warum du mir diese Frage tust?
ERNST Und du willst mir meine Frage beantworten, wenn ich dir die Ursachen derselben sage?
FALK Das verspreche ich dir.
ERNST Ich kenne und fürchte deinen Scharfsinn.
FALK Meinen Scharfsinn?
ERNST Ich fürchte, du verkaufst mir deine Spekulation für Tatsache.
FALK Sehr verbunden!
ERNST Beleidigt dich das?
FALK Vielmehr muß ich dir danken, daß du Scharfsinn nennest, was du ganz anders hättest benennen können.
ERNST Gewiß nicht. Sondern ich weiß, wie leicht der Scharfsinnige sich selbst betrügt; wie leicht er andern Leuten Plane und Absichten leihet und unterlegt, an die sie nie gedacht haben.
FALK Aber woraus schließt man auf der Leute Plane und Absichten? Aus ihren einzeln Handlungen doch wohl?
ERNST Woraus sonst? – Und hier bin ich wieder bei meiner Frage. – Aus welchen einzeln, unstreitigen Handlungen der Freimaurer ist abzunehmen, daß es auch nur mit ihr Zweck ist, jene von dir benanntge Trennung, welche Staat und Staaten unter den Menschen notwendig machen müssen, durch sich und in sich wieder zu vereinigen?
FALK Und zwar ohne Nachteil dieses Staats und dieser Staaten.
ERNST Desto besser! – Es brauchen auch vielleicht nicht Handlungen zu sein, woraus jenes abzunehmen. Wenn es nur gewisse Eigentümlichkeiten, Besonderheiten sind, die dahin leiten oder daraus entspringen. – Von dergleichen müßtest du sogar in deiner Spekulation ausgegangen sein; gesetzt, daß dein System nur Hypothese wäre.
FALK Dein Mißtrauen äußert sich noch. – Aber ich hoffe, es soll sich verlieren, wenn ich dir ein Grundgesetz der Freimaurerei zu Gemüte führe.
ERNST Und welches?
FALK Aus welchem sie nie ein Geheimnis gemacht haben. Nach welchem sie immer vor den Augen der ganzen Welt gehandelt haben.
ERNST Das ist?
FALK Das ist, jeden würdigen Mann von gehöriger Anlage, ohne Unterschied des Vaterlandes, ohne Unterschied der Religion, ohne Unterschied seines bürgerlichen Standes, in ihren Orden aufzunehmen.
ERNST Wahrhaftig!
FALK Freilich scheinet diese Grundgesetze dergleichen Männer, die über jene Trennungen hinweg sind, vielmehr bereits vorauszusetzen, als die Absicht zu haben, sie zu bilden. Allein das Nitrum muß ja wohl in der Luft sein, ehe es sich als Salpeter an den Wänden anlegt.
ERNST O ja!
FALK Und warum sollten die Freimaurer sich nicht hier einer gewöhnlichen List haben bedienen dürfen? – Daß man einen Teil seiner geheimen Absichten ganz offenbar treibt, um den Argwohn irre zu führen, der immer ganz etwas anders vermutet als er sieht.
ERNST Warum nicht?
FALK Warum sollte der Künstler, der Silber machen kann, nicht mit altem Bruchsilber handeln, damit man so weniger argwohne, daß er es machen kann?
ERNST Warum nicht?
FALK Ernst! – Hörst du mich? – Du antwortest im Traume, glaub‘ ich.
ERNST Nein, Freund! Aber ich habe genug; genug auf diese Nacht. Morgen, mit dem frühsten, kehre ich wieder nach der Stadt.
FALK Schon? Und warum so bald?
ERNST Du kennst mich und fragst? Wie lange dauert deine Brunnenkur noch?
FALK Ich habe sie vorgestern erst angefangen.
ERNST So sehe ich dich vor dem Ende derselben noch wieder. – Lebe wohl! gute Nacht!
FALK Gute Nacht! lebe wohl!